Sonntag, 22. September 2013

Sonne, Vielfalt und Terroir - Weinregion Tessin


Das Tessin, wo zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Rebstöcke eingeführt und gepflanzt wurden, gilt als die Sonnenstube der Schweiz. Rund 80% dieser Rebstöcke waren Merlot, was einer Gesamtfläche von rund 800 Hektaren entsprach. Auch heute verbindet man den Tessiner Weinbau noch ausschliesslich mit der Borderlaiser Traubensorte, doch dabei hat der südlichste Weinbaukanton der Schweiz eine erstaunlich grosse Vielfalt an Rebsorten zu bieten. Nach dem langen Winter und dem kühlen, verregneten Frühling also eine optimale Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen und zugleich etwas Sonne zu tanken.

Da man nahezu überall bekannte Tessiner Grössen wie einen Sassi Grossi oder Ligornetto erwerben kann, habe ich mir für die zweitätige Reise bewusst zwei kleine Weingüter ausgesucht. Den ersten Stopp mache ich bei der "Tenuta San Giorgio" in Cassina d'Agno...

Tenuta San Giorgio - Bordeaux Ticino




Die Tenuta San Giorgio, welche seit 2010 von Weinmacher Mike Rudolph geführt wird, war die erste der beiden Stationen. Als Mike Rudolph 2001 ins Tessin kam, besass die Tenuta lediglich 0,8 Hektar Rebfläche und noch keinen Keller. Durch stetigen Auf- und Ausbau füllt das Weingut mittlerweile jährlich rund 30'000 Flaschen ab, die aus 7 Hektar Rebfläche produziert werden. Diese sind nicht nur mit Merlot bestockt, sondern auch mit Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Petit Verdot. Aus diesen keltert Mike seinen Topwein "Arco Tondo" - ein moderner Bordeaux Blend, der nicht nur durch seine tiefdunkle Farbe und sein herrliches Nasenbild überzeugt, sondern nach einigen Jahren Flaschenreife auch grossen Trinkgenuss bietet. "Es ist mein Ziel hier Weine aus den Bordeaux-Sorten zu keltern, aber den Einfluss vom Tessiner Terroir nicht zu vernachlässigen." meinte Mike als ich den "Arco Tondo" im Degustationskeller probierte. Die Trauben werden natürlich alle von Hand gelesen, schonend gepresst und anschliessend in Barriques oder grossen Holzfässern ausgebaut. 

Barrique Keller Tenuta San Giorgio

Doch auch bei den weissen Sorten setzt Mike Rudolph auf französische Gewächse und bringt jedes Jahr nebst einem weissen Merlot auch einen Chardonnay und einen Sauvignon Blanc in die Flasche. Durchaus mit Erfolg, wie ich bei der Degustation feststellen durfte. Zumindest der im Barrique ausgebaute Chardonnay überzeugte mich durch seine Leichtigkeit und Frische. Doch leider konnten wir den Sauvignon Blanc nicht probieren. "Es hat nur noch wenige Flaschen und selbst mein Privatlager ist bereits aufgebraucht" meinte der Winzer stirnrunzelnd. Dafür habe ich natürlich Verständnis und freuen uns umso mehr auf den neuen Jahrgang.

Ausblick vom Garten der Tenuta
Gut gelaunt verlasse ich den Weinkeller und bevor ich mich auf den Weg in einen nahgelegenen Grotto machte, wollte ich unbedingt nochmals in den Garten des Gutes. Denn da liegt unmittelbar ein Teil der Rebstöcke, was im Tessin ein absoluter Glücksfall ist. Eine Traumlage, welche die Schönheit der Tessiner Landschaft präsentiert - wunderschön!

Die Weine

Meandro 2011

100% Chardonnay, ausgebaut in Barriques und im grossen Fass. Im Glas helles Gelb mit durchsichtigen Reflexen. Wirkt in der Nase frisch, spürbare Noten nach Zitrone und Birnen. Am Gaumen erstaunlich schlank, leicht mineralisch und von einer frischen Säure begleitet. So kennt man den Chardonnay selten, doch der Charakter und die Qualität stimmt. Passt wunderbar zu Fisch und vegetarischen Speisen.
Trinken jetzt bis 2016

  

  
Sottoroccia 2011

Dieser reinsortige Merlot fliesst in dichtem Rubinrot ins Glas. Erinnert in der offenen Nase an ein Korb voller Beeren. Am Gaumen gut gebaut, jedoch wesentlich schlanker als die Farbe vermuten lässt. Im Abgang angenehm, rund und von samtigen Tannin begleitet. Köstliche Basisqualität zu Speisen aller Art. Trinken jetzt bis 2017




Arco Tondo 2010

Der Top-Wein des Gutes. Wunderschöne und dichte Farbe im Glas. Duftet nach dunkleren Beeren, Pflaumen, leichten Röstaromen und Schokolade. Trinkt sich seidenweich, ist trotzdem mundfüllend und warm. Langes und harmonisches Finale mit weichem Tannin. Dieser Wein schreit nahezu nach einigen Jahren Flaschenreife und wird dann Freunde des modernen Stils sehr viel Freude bereiten! Trinken 2015 - 2022




Andrea und Michael Weingartner - aus Liebe zum genuss




Nach einem feinen Mittagessen und einem Spaziergang in der Seebucht von Caslano, ging es in das 300 Seelen-Dorf Astano, welches nur wenige Kilometer von der italienischen Grenze entfernt liegt. Dort erwartete mich Michael Weingartner mit seiner Frau Andrea. Sie hatten ihren Alltag bereits vor zehn Jahren hinter sich gelassen und sind mit der ursprünglichen Idee eine Pension zu führen in die Schweizer Sonnenstube gezogen. Der Weinbau sollte vorerst  nur als Hobby nebenbei betrieben werden. Doch da die Ferien- und Übernachtungsnachfrage im Winter enorm klein ist, wäre es nahezu unmöglich von der Pension alleine zu leben. So hat sich das sympathische Ehepaar entschieden ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen. Seit 2006 sind sie als Winzer tätig und bewirtschaften vier parzellen mit einer Gesamtfläche von rund 2,5 Hektaren. Nebst Merlot sind die Rebstöcke mit Cabernet Franc und Chardonnay bestockt.

Andrea und Michael Weingartner
Voller Stolz präsentierte Michael Weingartner seine Barriques, aus diesen ich zwei vielversprechende Fassproben entnehmen durfte. Anschliessend wurde passend zu zwei aktuellen Weinen eine kleine Stärkung angeboten. Nebst einem reinsortigen Merlot (Amoroso), hatte ich ein sehr gelungenes Cuvée aus Cabernet Franc und Merlot (Insieme) im Glas. Dieser Wein gefiel mir eine ganze Ecke besser als der Merlot. "Das ist jedes Mal anders. Manchmal mögen wir lieber den Insieme, manchmal den Amoroso. Schön haben wir beide." meinte Micheal, was Andrea nickend bestätigte. 

Innert kurzer Zeit hatten dunkle Wolken den blauen Tessinerhimmel verdrängt und bevor ich dazu kam mir Notizen zu machen, fielen auch schon die ersten Tropfen. Schnell brachten wir Wein und Snack ins Trockene und schenkten zur nächsten Runde ein.


Um mich zu Hause nochmals in aller Ruhe vom "Insieme" zu überzeugen, hatte ich beschlossen zwei Flaschen mitzunehmen. Gesagt, getan: eine Flasche 2008er und eine 2009er in den Karton und zurück ins Hotel. 

Die Weine


Amoroso 2008

Ein reinsortiger Merlot, wie man ihn aus dem Tessin kennt. Präsentiert sich im Glas mit einer dichten und dunklen Farbe. In der Nase an dunkle und rote Beeren erinnernd, schlank am Gaumen und einem mittellangen, weichen Abgang. Der Amoroso ist ein guter Begleiter zu Grilladen, Wild oder einem Eintopf. Trinken jetzt bis 2016






Insieme 2008


Cuvée aus Cabernet Franc und Merlot. Im Glas etwas heller als der Amoroso, dafür deutlich komplexer in der Nase. Dort ist er fruchtig, würzig und vielschichtig. Angenehm im Gaumen, weichem Tannin und einer animierenden Säure. Schönes, würziges Finale, welches Reserven zeigt. Sehr ausgewogen und als Begleiter herzhafter Speisen genau so geeignet wie vor dem Kaminfeuer. Trinken 2014 bis 2020


Fazit

Es ist schön zu sehen, welche Fortschritte die Vielfalt im Tessiner Weinbau macht. Besonders erfreulich dabei ist auch der Einsatz und die Einstellung der Winzer, welche sich mit Herzblut und einer zielstrebigen Philosophie um eine authentische Weinkultur bemühen. Und die Mär, dass die Tessiner nur qualitativ durchschnittliche Merlotweine keltern, ist jetzt ebenfalls vom Tisch.